Materialkarten effizient mit Mikroskalenmodellen kalibrieren

Projekt »REVIT«: Kalibrieren von Materialkarten für FVK-Werkstoffe auf Basis von Realen und Virtuellen Mikrozugversuchen

Unser Team aus dem Fraunhofer ITWM arbeitet im Projekt »REVIT« gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM daran Mikroskalenmodelle zu erstellen – mithilfe weniger physischer Messungen sowie CT-Scans. Auf deren Basis werden Materialkarten zur mechanischen Charakterisierung von Faserverbundwerkstoffen kalibriert. Das resultierende Materialmodell kann das makroskopische Materialverhalten mit hoher Genauigkeit beschreiben.

Faserverbundkunststoffe (FVK) gehören zur Klasse der Faserverbundwerkstoffe (FVW) und kommen in Bereichen wie der Automobilindustrie oder dem Leichtbau immer häufiger zum Einsatz, da sie sich schnell produzieren lassen und eine hohe Designfreiheit bieten. Aufgrund der geringen Prozesszeiten sind insbesondere faserverstärkte Spritzguss- und Pressmassen aus Kurz- oder Langfasern weit verbreitet. Die Qualitätsbeurteilung ist sehr komplex und erfordert sogenannte »Materialkarten«, die das spezifische Materialverhalten des FVK beschreiben. Deren Kalibrierung erfordert in der Regel eine Vielzahl von teuren Labortests, weshalb mittelständische Unternehmen bisher oft auf weniger präzise Materialkarten mit geringer Genauigkeit zurückgreifen mussten. Mit dem im Projekt entwickelten Ansatz bieten wir kleinen und mittelständigen Unternehmen (KMU) eine wesentlich effizientere und kostengünstige Lösung.

Das Verhalten von FVK-Bauteilen bei Belastung ist abhängig von der Ausrichtung der Fasern innerhalb des Kunststoffmaterials. Daher ist es notwendig, die Abhängigkeit des Werkstoffverhaltens von der Faser-Ausrichtung möglichst präzise zu ermitteln. Dies ist heute zwar bereits möglich, jedoch müssen dafür in der Regel etwa 250 Materialtests durchgeführt werden. Wir – ITWM-Expert:innen aus den Abteilungen »Strömungs- und Materialsimulation« und »Bildverarbeitung« sowie ein Team des Fraunhofer IWM – arbeiten daran, diesen Prozess durch wenige physische Versuche in Kombination mit virtuellen Messungen zu ersetzen.

Mikroskalenmodelle als Grundlage für Materialkarten

Im Gegensatz zu herkömmlichen Charakterisierungsmethoden, die eine Vielzahl von makroskopischen Tests bei verschiedenen Spannungszuständen und Dehnungsgeschwindigkeiten umfassen, verfolgen wir einen anderen Ansatz. Stattdessen wird eine begrenzte Anzahl von Zugversuchen im Mikrobereich durchgeführt, wobei die Proben einen Querschnitt von 0,5 × 0,5 mm² und eine Länge von 6 mm haben. Computertomografische Aufnahmen (CT) liefern vollständige Informationen über die Faserverteilung innerhalb der Proben.

Auf Basis der mikroskaligen Zugversuche wird ein mikroskaliges Simulationsmodell mit der Software »FeelMath« erstellt – einer am Fraunhofer ITWM entwickelten Analysesoftware zur Berechnung effektiver mechanischer und thermischer Eigenschaften von Mikrostrukturen.

Segmentierter Mikroprobenscan
© Fraunhofer ITWM
Segmentierter Mikro-Proben-Scan für die Entwicklung von Bauteilen aus faserverstärktem Kunststoff. Die Glasfasern sind in grau und das Matrixmaterial (Polypropylen) in Grün zu sehen.
Spannungs-Dehnungs-Kurven von beispielhaften RVE-Simulationen (Representative Volume Elements) mit unterschiedlichen Faserorientierungen.
© Fraunhofer ITWM / Fraunhofer IWM
Spannungs-Dehnungs-Kurven von beispielhaften RVE-Simulationen (Representative Volume Elements) mit unterschiedlichen Faserorientierungen.

Das Mikromodell stellt die Fasern und die Matrix als zwei unterschiedliche Phasen dar. Die Anfangswerte der Materialparameter können durch DMTA-Messungen (dynamisch-mechanisch-thermische Analyse) am Matrixmaterial ermittelt werden. Dann werden die Materialparameter iterativ angepasst, um eine gute Übereinstimmung zwischen den Simulationen und den mikroskaligen Zugversuchen des Verbundwerkstoffs zu erzielen. Die reale Faserverteilung wird in das Modell einbezogen, da die Geometrie direkt aus dem segmentierten CT-Scan übernommen wird.

Kosten und Zeit durch Digitale Zwillinge sparen

Anschließend werden repräsentative Volumenelemente (RVE) erzeugt, um virtuelle Tests für die automatische Erstellung einer makroskopischen Materialkarte durchzuführen. In den RVE werden die Faserorientierung und der Faservolumenanteil variiert, um ihren Einfluss auf das Materialverhalten zu beobachten. Es werden virtuelle Zug- und Scherversuche mit drei verschiedenen Dehnungsgeschwindigkeiten durchgeführt. Die mittlere Spannung und Dehnung aus diesen virtuellen Tests werden für die automatische Erstellung einer Materialkarte verwendet, die das makroskopische Verhalten des Verbundwerkstoffs beschreibt.

Schließlich wird das makroskopische Materialmodell durch eine Reihe von konventionellen Charakterisierungstests validiert. Insbesondere werden die guten Vorhersagefähigkeiten des Modells durch biaxiale Durchschlagversuche demonstriert. Das Modell charakterisiert das Materialverhalten bis zum Beginn des Versagens genau. Interessanterweise konnten wir auch jenseits dieses kritischen Punktes eine bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den experimentell ermittelten und den durch die Simulation vorhergesagten Kraft-Weg-Kurven beobachten.

Der Arbeitsaufwand für die in diesem Projekt entwickelte Charakterisierungsmethode liegt in der Größenordnung von 20 bis 50 traditionell getesteten Proben. Mit dem kalibrierten Mikromodell können nahezu beliebig viele virtuelle Experimente kostengünstig durchgeführt werden. Dies ermöglicht es Unternehmen, den rein experimentellen Aufwand um bis zu 80 Prozent gegenüber der traditionellen Methodik zu reduzieren.

Vergleich von Simulation und Experiment für einen Durchstoßversuch zur Methodenvalidierung
© Fraunhofer ITWM / Fraunhofer IWM
Vergleich von Simulation und Experiment für einen Durchstoßversuch zur Methodenvalidierung

Unsere Partner im Projekt

Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik IWM, Dr. Jörg Lienhard, Dr. Timo Schweiger

Projektlaufzeit und Förderung

Das Projekt wird im Rahmen des Fraunhofer-internen Programms für schnelle mittelstandsorientierte Eigenforschung gefördert. Es hatte eine Laufzeit von zwei Jahren von Juli 2020 bis Dezember 2022.