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Beginnen wir unheilvoll: Stellen Sie sich vor, Ihr Arzt hat Sie gerade positiv auf eine Krankheit getestet. Er sagt, bei 99% der Erkrankten erkenne dieser Test die Krankheit auch korrekt. Sollten Sie jetzt nervös werden? Wie Regenschirme uns bei der Anschauung helfen und was das Ganze mit Betriebsfestigkeit zu tun hat? Spoiler: Im Idealfall ähnelt Ihre Firma einer häufigen Krankheit.
Die Begriffe der »Signifikanz« und »Konfidenz« werden quasi synonym verwendet. Das wäre noch akzeptabel, würde man nicht oft noch so weit gehen, von Aussagesicherheit statt Konfidenz zu sprechen. Das Wort Aussagesicherheit klingt dabei nicht nur stärker als Signifikanz, es ist meiner Meinung nach noch intuitiv irreführend. Um das zu verstehen, benötigen wir bedingte Wahrscheinlichkeiten, den Satz von Bayes und Grundlagen der statistischen Testtheorie.
Wie häufig verlassen Sie das Haus mit einem Regenschirm? Wenn Sie keinesfalls nass werden wollen, dann werden Sie ihn gerade an Regentagen mitnehmen und an den übrigen Tagen eben nicht. In Kaiserslautern könnten das ca. 120 von 365 Tagen sein. Die Regenwahrscheinlichkeit liegt damit ungefähr bei 33%. Hinzu kommen ein paar Tage, an denen Sie den Regenschirm unnötig mitnehmen, obwohl es nicht regnet.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie den Regenschirm dabei haben, wenn es dann tatsächlich regnet? Da ich Ihnen Wasserscheue unterstellt habe, liegen wir hier nah bei 100%, eventuell reduziert um ein paar Schusseligkeitsprozentpunkte. Sagen wir 98%. Statistiker schreiben das wie folgt:
P (Regen) = 33%
P (Regenschirm | Regen) = 98%
Bedingte Wahrscheinlichkeiten  Die bedingte Wahrscheinlichkeit von »A gegeben B« berechnet sich aus der Wahrscheinlichkeit, dass A und B gemeinsam eintreten, geteilt durch die Wahrscheinlichkeit, dass nur B eintritt. In unserem Beispiel war A=Regenschirm und B=Regen. Durch Umstellen können wir nun berechnen: P (Regenschirm ∩ Regen) = 98% ⋅ 33% = 32,3%. An 32,3% der Tage wird man Sie also mit Regenschirm antreffen, während es regnet. |
Fast alle meine Statistik-Professoren haben immer hervorgehoben: »Der Mensch kann nicht in bedingten Wahrscheinlichkeiten denken!« Mein Tipp: Seien Sie sprachlich auf der Hut! Wenn ich Sie frage »Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie an Regentagen einen Schirm mitnehmen?«, so könnte damit sowohl gemeint sein »… dass es ein Regentag ist und sie einen Schirm mitnehmen« (32,3%) oder »… dass Sie einen Schirm mitnehmen, weil/da/gegeben es ein Regentag ist«.
Zurück zum Arztbesuch: Wir wissen bisher, dass der Test 99% der Erkrankten korrekt erkennt. Das nennt man auch die Sensitivität des Tests, und die ist hier sehr hoch. Tatsächlich interessiert uns aber genau das Gegenteil: Wir haben unser positives Testergebnis, mit welcher Wahrscheinlichkeit sind wir aber wirklich erkrankt? Hier hilft uns der berühmt-berüchtigte Satz von Bayes. Berühmt ist er, weil er so unglaublich nützlich ist (z.B. für Spam-Filter von E-Mails). Berüchtigt ist er, weil viele Menschen im Alltag gewöhnliche Wahrscheinlichkeiten mit bedingten Wahrscheinlichkeiten verwechseln.
Der Satz von Bayes  Tief durchatmen. Der Satz sagt: Um zu wissen, wie oft A eintritt, falls B bereits eingetreten ist, muss man wissen, wie oft B eintritt, falls bereits A eingetreten ist und das zunächst mit der Eintretenswahrscheinlichkeit von A multiplizieren und die von B rausdividieren. Nochmals: Wer mit bedingten Wahrscheinlichkeiten zu kämpfen hat, ist in guter Gesellschaft. |
Ersetzen wir die Platzhalter mit A=»krank« und B=»Test positiv«, so sehen wir, dass unsere gesuchte Wahrscheinlichkeit von P (krank) und P (Test positiv) abhängt:
Die Wahrscheinlichkeit krank zu sein ist – für eine durchschnittliche Person – gerade der Anteil der Erkrankten an der Gesamtbevölkerung. Ist die Krankheit selten, so ist P (krank) sehr klein, etwa 1:10.000. Die Wahrscheinlichkeit für einen positiven Test fällt höher aus. Hier gibt es die Richtig-Positiven (Erkrankte mit positivem Test) und die Falsch-Positiven (Gesunde mit positivem Test). Selbst wenn der Test ebenfalls 99% der Gesunden richtig als solche erkennt, ergibt sich mit kurzer Nebenrechnung P (Test positiv) = 1%. Wir erhalten:
Kein Grund zur Sorge also! Nur jeder hundertste Patient mit positivem Test ist auch wirklich krank. Das nennt man auch den positiven prädiktiven Wert des Tests. Das ist beachtenswert: Diesen Test mit 99% Sensitivität können Sie bei sehr seltenen Krankheiten ziemlich sicher ignorieren. (In der Realität holen Sie sich bitte eine zweite Meinung ein.)
Dem geneigten Leser ist es überlassen, sich die beiden Zahlen für eine häufige Krankheit zu überlegen. Hier werden die Wahrscheinlichkeiten nicht von 99% auf 0,99% fallen, sondern sich irgendwo dazwischen einsortieren.
Ein dritter und letzter Kasten hilft uns beim Transfer auf die Betriebsfestigkeit:
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Ausflug zu den Hypothesentests In der Statistik werden (Arbeits-)Hypothesen am liebsten dadurch »bestätigt«, dass man ihr Gegenteil, die Null-Hypothese H0, als unplausibel nachweist. Dabei hat man immer einen Datensatz und fragt sich: Sind die Daten unter dem Licht der Nullhypothese unplausibel? Dürften dann solche (extremen) Werte vorkommen? Man konstruiert einen zugehörigen Test, der Mindest- oder Höchstwerte in den Daten (oder daraus abgeleiteten Kennwerten) fordert. Werden diese Werte erreicht, erscheint das unter der Nullhypothese unplausibel. Der Fehler erster Art α gibt dabei an, mit welcher Wahrscheinlichkeit das eben doch passieren kann:
Ein anderes Wort für den Fehler erster Art ist Signifikanz. |
Sie möchten nachweisen, dass ein Würfel zu Gunsten der 6 gezinkt ist. Dazu tun wir zunächst so, als wäre der Würfel fair (Nullhypothese). Wir könnten uns etwa auf 60 Würfe zur Prüfung einigen. Ein fairer Würfel würde ca. zehnmal eine 6 zeigen. Mit ein paar Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsrechnung ermitteln wir, dass ein fairer Würfel nur in 5% aller Fälle in 60 Würfen 16-mal oder mehr eine 6 zeigen sollte. Wunderbar! Das ist unser Höchstwert: Sollten im Experiment 16 oder mehr 6er fallen, so glauben wir (auf dem 5%-Signifikanzniveau) nicht an einen fairen Würfel.
Man versucht Signifikanzen in der Regel bei 5% oder deutlich weniger zu halten:
Kurzer Vokabeltest: Erklären Sie JETZT im Geiste jemand statistisch Unbedarftem den Begriff Signifikanz.
Das war keine einfache Übung! Am Ende kommt man nicht Drumherum, das Wort »bedingt« oder »gegeben« zu benutzen.
In der Betriebsfestigkeit ist die – hoffentlich falsche – Nullhypothese: »Die Population der Bauteile (aus der die Stichprobe stammt) erfüllt nicht die Zuverlässigkeitsanforderungen (und sollte nicht freigegeben werden)«.
Können Sie in der Stichprobe keine oder nur sehr späte Ausfälle feststellen, erscheint das unter der Nullhypothese H0 unplausibel. Sie werden die Bauteile nun mit Signifikanz 5% freigeben. Man könnte also sagen:
»Gegeben H0 stimmt, so tritt das beobachtete Testresultat nur mit 5% Wahrscheinlichkeit auf. Daher verwerfen wir H0 auf dem Signifikanzniveau 5% und geben die Bauteile frei«, also
Sperrige Formulierung! Ein netter Name sollte es richten: Aussagesicherheit. Geschrieben meist als PA und dann als die Gegenwahrscheinlichkeit zur Signifikanz aufgefasst. Also z.B. PA = 1 - α = 95%. Man zieht es dann vor zu sagen, man habe die Bauteile mit 95% Aussagesicherheit freigegeben, wo der Statistiker von 5% Signifikanz sprechen will. Doch wie klingt Aussagesicherheit für Sie? Für mich klingt es nach der Wahrscheinlichkeit, dass die getroffene Aussage (bzw. Entscheidung) richtig ist. Ich möchte das hier als »intuitive Aussagesicherheit« PA, intuitiv bezeichnen. Jetzt könnten wir noch kurz darüber diskutieren, ob wir darunter nur verstehen wollen, dass unsere Entscheidung für Freigabe richtig war, oder ob jede mögliche Entscheidung für uns richtig war, also z.B. auch die Verweigerung der Bauteilfreigabe. Das spielt jedoch keine Rolle mehr: In der Definition der Signifikanz steht die Wahrscheinlichkeit für die korrekte Nullhypothese hinter dem senkrechten Strich. Unsere intuitive Auffassung befördert sie gedanklich vor den senkrechten Strich.
Erinnern Sie sich bitte an den Arztbesuch. In der Aussage des Arztes stand »Sie sind krank« hinter dem senkrechten Strich und wir hatten 99% Sensitivität. Für Sie relevant war aber die Version mit der Krankheit vor dem Strich, was uns zu 0,99% positivem prädiktivem Wert geführt hat. Nur die 0,99% würden Sie intuitiv als Aussagesicherheit bezeichnen. Laut der Definition in der Betriebsfestigkeit sind die 99% aber gerade die Aussagesicherheit. Eine fatale Verwechslung.
Darum sollten Sie nicht Aussagesicherheit sagen.
Am liebsten würde ich diesen Blog-Beitrag damit beenden. Der Ehrlichkeit wegen muss ich nochmal an die Aufgabe zu Beginn erinnern, wo Sie die positiven prädiktiven Werte für häufigere Krankheiten ermitteln sollten. Sie werden hier höher landen als bei 0,99%. Übertragen in die Betriebsfestigkeit entspricht die seltene Krankheit einer Firma, die zunächst nur Mist entwickelt, den man nicht freigeben würde. In dieser Metapher hoffe ich für Ihre Firma, dass sie einer häufigen Krankheit ähnelt, also fast nur Bauteile entwickelt, die eine Freigabe verdient hätten. In diesem Fall reduziert sich der Unterschied zwischen intuitiver Aussagesicherheit und Aussagesicherheit natürlich.
Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM