Blick über den Tellerrand

Die dramatische Geschichte des Prioritätsstreits zwischen Leibniz und Newton

Presseinformation /

Prof. Dr. Thomas Sonar, Mathematiker der TU Braunschweig, gab beim »Blick über den Tellerrand« im August lebhafte Einblicke in den Plagiats-Konflikt zwischen Leibniz und Newton. Dabei ging es um die Frage, wer als erster den vollständigen Infinitesimalkalkül mit seiner (für Leibniz) Differentialrechnung oder (für Newton) Fluxionsrechnung erfunden habe.

Prof. Dr. Thomas Sonar beim Vortrag
© Fraunhofer ITWM
Prof. Dr. Thomas Sonar spricht in seinem Vortrag alles andere als trocken über den Streit – im Gegenteil. Wie ein Krimi baut er lebendig die Geschichte auf.
Prof. Dr. Thomas Sonar und Zuhörer beim Tellerrand
© Fraunhofer ITWM
Die spannende Darstellung der Historie des Prioritätsstreits zwischen Leibniz und Newton lässt die Zuhörer gebannt dem Referenten Sonar folgen.
Prof. Dr. Thomas Sonar bei Fragerunde
© Fraunhofer ITWM
Weiter ging es nach dem Vortrag in der anschließenden Fragerunde.

»Dieser Vortrag ist ein Lesevortrag. Wir fangen bei der komplizierten Geschichte hinten an«, mit diesen Worten beginnt der Referent des Tellerrands. Was für den Zuschauer zunächst trocken anmutet, entwickelt Sonar zu einem spannenden Drama in mehreren Akten. Zahlreiche Briefe führen durch die Geschichte zwischen den Protagonisten, er lässt die Akteure zum Publikum sprechen. Seine ausführliche, gründlich recherchierte Darstellung des Prioritätsstreits ist geschmückt mit viel Humor und Anekdoten, die Akteure und deren Charaktere bildlich vor Augen führen. 
 

Mathematische Historie spannend wie ein Drama

Wie in einem Theaterstück oder gar Krimi stellt Sonar die Dramatis Personae vor und baut seinen Spannungsbogen bis zum Höhepunkt auf. Er beschreibt, wie in dieser Zeit nie direkt, sondern oft umständlich über viele Wege mit zwischengeschalteten Personen mit der Royal Society kommuniziert wurde und welche besondere Stellung diese in der Wissenschaft hatte. Die Royal Society (Königliche Gesellschaft) ist eine 1660 gegründete britische Gelehrtengesellschaft zur Wissenschaftspflege mit Sitz in London. Sie gilt als nationale Akademie der Wissenschaften des Vereinigten Königreiches für Naturwissenschaften.

Dabei erzählt der Mathematiker Sonar lebendig von Partys, auf denen von Entdeckungen geprahlt wird, Freundschaften, Intrigen, Fehden und Feindschaften und dröselt die einzelnen Hauptlinien der Eskalation genau auf. Geschickt lässt er die historischen Persönlichkeiten lebendig werden. Zunächst sind sich Newton und Leibniz noch im Respekt ergeben und tauschen freundliche Briefe aus. Schnell wird aber auch klar, der Streit um den Ursprung und Erfinder der Differentialrechnung hätte ohne die vielen Mitstreiter auf beiden Seiten wahrscheinlich in dieser Härte gar nicht stattgefunden und wäre in der heutigen Zeit ganz anders gelaufen.
 

Eskalation von Dritten angefeuert

Der Konflikt eskaliert vor allem, weil Mitstreiter die Bühne im historischen Streit betreten, die aus egoistischen oder nationalen Motiven diesen immer wieder mit Sticheleien befeuern oder zur Entwicklung beitragen. Sei es ein Fatio de Duillier, der erst eine sehr enge Beziehung zu Newton pflegt und dann mit ihm bricht. Oder die Schweizer Gebrüder Bernoulli, die keine Gelegenheit auslassen beim mathematischen Krieg mitzumischen. Aber auch Missverständnisse, unglückliche Vorfälle, wie verloren gegangene Briefe oder Auslassungen und Übersetzungsfehler, lassen den Streit erst zu einem solchen werden.

Und nicht zu vergessen, die schwierigen Charaktere, wie der eines Newtons, der keine Kritik duldet. Er berief beispielsweise eine Kommission der Royal Society, die über den Prioritätsstreit anhand historischer Dokumente durch ein Gutachten entscheiden sollte. Das Komitee unterzeichnete das Commercium epistolicum, das allein von Newton entworfen wurde, welches sie wohl großenteils nicht gelesen, geschweige denn verstanden hatten. Leibniz steht noch bis über das 18. Jahrhundert als Plagiator da und wird bis über seinen Tod hinaus geradezu besessen von Sir Isaac als Feind bekämpft.


Storytelling at its best: Mathe und Geschichte

Sonar macht klar, dass kein anderer Streit in der Geschichte der Mathematik diese internationalen Auswirkungen mit sich gezogen hat. Die Leichtigkeit seiner Sprache und unterhaltsame Darstellung im Vortrag täuschen nicht darüber hinweg, welche Tragweite dieser Konflikt über Jahrhunderte gehabt hat. Auch wenn am Ende wahrscheinlich beide Protagonisten ihre Theorien unabhängig voneinander entwickelt haben, galt Newton lange als Sieger des Streites und wurde in Großbritannien nahezu als Held verehrt. Erst spät wurde dieses Bild in der Historie relativiert. Der Referent zeigt, wie aufregend die Geschichte der Mathematik sein kann: Der Tellerrand im September mit Storytelling at its best.


Zur Vortragsreihe »Blick über den Tellerrand«

Einmal im Monat öffnet das ITWM die Türen für alle Interessierten und lädt beim »Blick über den Tellerrand« dazu ein, gemeinsam den Horizont zu erweitern. Die interdisziplinäre Vortragsreihe des Felix-Klein-Zentrums für Mathematik präsentiert unterschiedliche Referenten mit verschiedensten Themen. Jeder ist herzlich eingeladen zuzuhören und mitzudiskutieren. Der Eintritt ist frei.


Am 25. September 2018 findet der nächste Vortrag statt. Zum Thema »Hochbegabung: Grundlagen und neue Forschungsergebnisse« wird Referentin Prof. Dr. Franzis Preckel, Hochbegabtenforscherin der Universität Trier, präsentieren.

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