»Dranbleiben und nicht einschüchtern lassen!«

Dieser Artikel stammt aus unserem Buch »Forscherinnen im Fokus – Wir schaffen Veränderung«

Prof. Dr. Anita Schöbel ist viel beschäftigt. Sie ist hauptamtliche Professorin für Angewandte Mathematik an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU), Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM, Mitglied in zahlreichen Forschungsgruppen und Initiativen. Woher nimmt sie die Power?

Was hat Dich an deiner Forschung gereizt, wieso hast Du diesen Weg eingeschlagen?

Ich habe schon als Kind gerne geknobelt und schwierige Aufgaben gelöst. Nach der Schule fiel meine Wahl dann auf ein Mathematikstudium – ohne Karriereplan, einfach, weil es mich gereizt hat. Ich wusste nur, dass ich nicht unbedingt Lehrerin werden wollte, obwohl oder weil es alle von mir erwartet haben.

 

Nun bist Du Professorin an der Universität ...

und damit doch irgendwie Lehrerin, nur eben an einer Hochschule. Im Laufe meiner Karriere habe ich mich entschieden zu promovieren. Das hat mir dann so gefallen, dass ich auch noch Professorin werden wollte. Ich finde den Beruf großartig, die Verbindung aus Forschung und Lehre, die Arbeit mit Studierenden, das macht mir bis heute großen Spaß.

 

Woher kam die Motivation, als Führungsperson in der Wissenschaft Karriere zu machen?

Ich habe lange als Professorin gearbeitet. Als meine Kinder aus dem Haus waren, war die Zeit reif für etwas Neues und ich bewarb mich in Kaiserslautern. Ich bewege einfach gerne Dinge und stoße Themen an, habe immer viele Ideen, was man noch alles machen könnte. Das wird mit jeder höheren Karrierestufe einfacher, diese auch anzustoßen.

Prof. Dr. Anita Schöbel, Leiterin des Fraunhofer ITWM
© Fraunhofer ITWM
Prof. Dr. Anita Schöbel

Forschst Du noch aktiv, trotz der ganzen Management-Verpflichtungen?

Ja, mich beschäftigt zum Beispiel die nachhaltige Verkehrswende. Aktuell beteilige ich mich unter anderem am EU-weiten Projekt »EASIER«, mit dem wir die erste Meile, also zum Beispiel den Fußweg zu Bus und Bahn, verbessern wollen. Auch an der RPTU Kaiserslautern forschen wir an nachhaltiger Mobilität in Städten, schauen uns an, ab wann sich eine U-Bahn lohnt, wann man einen Bus »on demand« anbieten sollte und wo man vielleicht wirklich noch ein Auto braucht.

 

Merkst Du ein gestiegenes Interesse an KI?

Ja, auf uns kommen viele kleine und mittlere Unternehmen zu, die noch gar nicht richtig wissen, was KI für sie bedeutet und was sie damit machen können. Das war früher allerdings bei uns als mathematisches Institut auch schon so, man wusste oft gar nicht, dass man Mathematik in bestimmten Bereichen anwenden kann. KI zu machen, nur um der KI Willens sollte aber nicht die Lösung sein. Machine Learning kann an vielen Stellen helfen, Kosten zu sparen, die Effizienz oder die Zufriedenheit zu steigern. Manchmal passen andere Algorithmen aber einfach besser zum Problem.

Wie stemmst Du Mehrfachbelastung, bleibt da Freizeit?

Jede meiner Aufgaben bereitet mir Freude, daher ist es in Ordnung, Arbeit auch mal mit in den Feierabend zu nehmen. Mein Mann erinnert mich ab und zu daran, dass es Zeit ist, den Schreibtisch zu verlassen. Wir sind dann viel draußen an der frischen Luft, das hilft mir, den Kopf frei zu bekommen.

Hattest Du den Eindruck, dass Du es als Frau schwieriger hattest, deine Ziele zu erreichen?

Es gibt Aspekte, da war es vielleicht schwieriger, aber auch Aspekte, da war es vielleicht sogar leichter. Ich wurde zu Hause gefördert und in der Schule hatte ich bis auf eine Ausnahme immer das Gefühl, von Lehrer:innen gleichbehandelt zu werden.

Trotzdem sind Frauen in der Wissenschaft noch unterrepräsentiert.

Ja, leider stimmt das. Noch immer gelingt es uns nicht ausreichend, Mädchen für wissenschaftliche Themen zu begeistern. Auch in der Bezahlung ist noch keine Gleichbehandlung erreicht. Bei uns am Fraunhofer ITWM haben wir tolle Frauen, ich bin begeistert, wie aktiv sie sind und welche Ideen sie auf allen Ebenen einbringen. Beim Antritt meiner Institutsleiterinnen-Stelle habe ich mir auf die Fahne geschrieben, Frauen intensiv zu fördern und auch andere Frauen zu motivieren, bei uns einzusteigen. Allerdings bin ich auch der Meinung, dass wir Mädchen und junge Frauen nicht drängen sollten. Jede sollte das machen, was ihr Spaß macht.

Was würdest Du Frauen – und auch Männern – raten, die eine Karriere in der Wissenschaft anstreben

Man braucht Durchhaltevermögen, eine gewisse Frustrationstoleranz. Manchmal kommt man gut voran, aber es gibt auch Durststrecken und Phasen, in denen es schwierig ist. Da muss man einfach dranbleiben und sich nicht einschüchtern lassen. Und ich würde immer dazu raten, sich auszutauschen und Netzwerke zu pflegen.

Thank you for travelling with ... »Optimierung«

Verspätungen und teure Tickets: Kaum ein Tag vergeht, an dem der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) nicht zu Ärgernissen führt. Anita beschäftigt der ÖPNV seit vielen Jahren. Sie ist angetreten, um mit ihrer Forschung diese Herausforderungen auf dem Weg zur Verkehrswende zu lösen.

Liniennetz, Fahrpläne, Fuhrpark und der Umgang mit Verspätungen waren Forschungsbestandteile im Projekt »LinTim« (»Lineplanning and Timetabling«) [nur auf Englisch verfürbar], das 2007 von Anita ins Leben gerufen wurde. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen entwickelte sie Algorithmen, die in einer integrierten Umgebung eine bessere Abstimmung der einzelnen Punkte untereinander ermöglichen. So kann heute zum Beispiel mithilfe der »Lin-Tim«-Software schon beim Erstellen eines Fahrplans auf seine Widerstandsfähigkeit gegen Verspätungen geachtet werden. Dazu werden anhand der kalkulierten Zeitpläne zufällige Verspätungen erzeugt und der Fahrplan automatisch angepasst.

Kosten, Klima, Komfort

Auch eine Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) nimmt sich seit 2015 dem Planungsprozess im Öffentlichen Verkehr an, um den Komfort für Reisende zu steigern und gleichzeitig die Kosten zu senken. Dafür fließen mithilfe von Algorithmen sowohl die Nachfragen nach Fahrten als auch Störungen in Liniennetz-, Fahr-, Fahrzeugumlauf- und Dienstplanung ein.

Neben dem Preis geht es dabei in einem anderen Projekt auch um die Umwelt. Indem Fuß- und Radwege, öffentliche Verkehrsmittel und Sharing-Systeme zu nahtlosen Verkehrssystemen kombiniert werden, steigt die Attraktivität nachhaltiger Verkehrsangebote. Die Entwicklung der dazu passenden Tarifsysteme und Preisstrategien liegt in den Händen von Anita. Wieder ein anderes Projekt betrachtet Mobilitätsangebote inklusive Reisezeit, Umweltbelastung, Energiebedarf und Kosten als Gesamtsystem und modelliert das Reiseverhalten. Das Ziel: Bald schon möglichst nachhaltige Lösungen für die Fortbewegung in der Stadt und auf dem Land anbieten zu können.

Frau N. Hofer vor Monitor mit CO2-Sparen
© Fraunhofer ITWM
Frau N. Hofer vor Monitor mit CO2-Sparen