»Es ist spannend, in wie vielen unterschiedlichen Bereichen wir mit unserer Forschung beitragen können.«

Prof. Dr. Anita Schöbel im Interview zur Corona-Krise

Prof. Dr. Anita Schöbel ist seit gut einem Jahr Institutsleiterin des Fraunhofer ITWM. Die Corona-Krise dieses Jahr stellt auch das ITWM vor ganz neue Herausforderungen. Im Interview spricht sie zu den aktuellen Entwicklungen, über neue Projekte und das aktuelle Arbeiten am Institut:

Was trägt das Fraunhofer ITWM schon jetzt zur Bekämpfung der Corona-Krise bei? Welche Aktivitäten sind als nächstes geplant?

Mehrere konkrete Forschungsprojekte sind bereits angelaufen und viele weitere befinden sich in der Planung. In einem speziellen Corona-Überblick auf unserer Website sammeln wir zukünftig alle News rund um das Thema, über die wir schon berichten können.

Es ist spannend, in wie vielen ganz unterschiedlichen Bereichen wir mit mathematischer Forschung zur Bewältigung der Corona-Krise beitragen können. Als erstes fallen einem natürlich mathematische Modelle zur Simulation der Ausbreitung von Covid-19 ein. Daran arbeiten mehrere unserer Abteilungen: Es geht um die Analyse der Daten, die Bestimmung der Parameter und um die eigentliche Simulation, für die wir bestehende Simulationsmodelle erweitert haben. Die darauf basierenden Ergebnisse und Visualisierungen kann man dann nutzen, um mögliche Maßnahmen zu beurteilen und daraus die besten auszuwählen.

Ein ganz anderer Bereich betrifft die Schutzkleidung: Wie kann man zertifizierbare Schutzkleidung herstellen? Wie lange hält eine Atemschutzmaske, bevor sie durchfeuchtet?  Wir können auch bei medizinischen Anwendungen unterstützen, z.B. bei mikroradiologischen Untersuchungen der Lunge zum Erkennen von Covid-19 oder bei der Konstruktion ganz neuer Schnelltestverfahren und ihrer automatisierten Auswertung.

Ein wieder anderer Bereich betrifft die Planung verlässlicher Logistik-Ketten zum Aufrechterhalten der Versorgung.  Auch hier kann das ITWM Expertise beisteuern.

Sehen Sie in der Wirtschaft Tendenzen, dass völlig neue Themen im Nachgang der Corona-Pandemie an Bedeutung gewinnen – wenn ja, welche?

Im Nachgang werden wir als Gesellschaft evaluieren, was gut gelaufen ist und wie wir uns auf ähnlich gelagerte Krisen besser vorbereiten können. Vieles hat in Deutschland schon gut geklappt: die Versorgung der Bevölkerung funktioniert, das Gesundheitswesen war bisher nicht überlastet. Aus den Dingen, die nicht so gut geklappt haben, werden wir lernen. Ich gehe davon aus, dass die Pandemiepläne überarbeitet werden und das Meldewesen verbessert wird. Wir können in Ruhe neue Tools zur Analyse und Evaluation der gemeldeten Daten und darauf basierend bessere Simulationen entwickeln. Aber auch die Vorratshaltung muss überdacht werden: Welche systemkritische Produktion soll man zurück nach Deutschland holen, von welchen Produkten soll wie viel gelagert werden und was kann man im Krisenfall zusätzlich produzieren oder umverteilen? Bei all diesen Fragen kann und wird sich auch unser Institut beteiligen.

Anita Schöbel wird unsere neue Institutsleiterin.
© Fraunhofer ITWM
Anita Schöbel, Institutsleiterin des Fraunhofer ITWM im Gespräch.

Gibt es am ITWM Ansätze, die Projektakquise zu verändern, z.B. bestehenden Kunden verstärkt neue Themenfelder aus dem Corona-Umfeld heraus anzubieten?

Zunächst einmal bieten wir unsere Expertise weiterhin ganz normal an, wie zu Nicht-Krisenzeiten, und viele unserer Projekte laufen auch im Moment ganz normal weiter. Manche unserer Kunden leiden unter der Coronakrise, bei anderen ist im Moment sogar mehr zu tun. Wir haben angeboten, unsere Kunden während der Corona-Zeit auch sehr kurzfristig zu unterstützen, wenn wir irgendwo helfen können.

Bei den neu angelaufenen Corona-Forschungsprojekten geht es uns vor allem darum, zu helfen und bei der Bewältigung der Corona-Krise zu unterstützen. Die dabei entwickelte Expertise bleibt aber natürlich auch nach der Krise erhalten, und falls man sie auch in anderen Bereichen nutzen kann, werden wir das sicher tun.

Erwarten Sie, dass die Corona-Krise unsere Arbeitswelt nachhaltig verändern wird? Welche Veränderungen sehen Sie in diesem Zusammenhang im ITWM?

Wir werden bewusster mit Reisen umgehen und kritischer prüfen, wann wir wirklich vor Ort sein müssen, nachdem wir nun gelernt haben, Videokonferenzen nahtlos in unseren Arbeitsalltag zu integrieren. Die Digitalisierung hat einen großen Schub bekommen und bietet neue Möglichkeiten. Das wird sicher erhalten bleiben und kommt uns in Zukunft auch bei der Akquise neuer Projekte zugute. Und wir können jetzt Vor- und Nachteile des Homeoffice besser einschätzen. Ich bin schon sehr gespannt, welche Tätigkeiten wir in Zukunft von zu Hause aus erledigen werden.

ILA Videokonferenz
© Fraunhofer ITWM
Arbeiten im Homeoffice: Im Institutslenkungsausschuss (ILA) tagen aktuell wöchentlich per Videokonferenz die Führungskräfte des ITWM. Im Screenshot ist Anita Schöbel links oben zu sehen.

Sie sind jetzt seit einigen Wochen bereits im Homeoffice: Wie strukturieren Sie Ihren Arbeitstag zu Hause? Haben Sie Tipps fürs Homeoffice?

Ich habe schon früher viel von unterwegs oder auch abends von zu Hause gearbeitet, das ist für mich eigentlich nichts Neues. Im Moment ist Kreativität und Pragmatismus gefragt, um sich das Arbeiten zu Hause so angenehm wie möglich zu gestalten, da greift man schon mal gern und kurzfristig auf privat vorhandenes IT-Equipment zurück: Mein Mann hatte noch einen Monitor und eine Tastatur für mich, die mein Notebook sehr gut ergänzen, so dass ich bequem arbeiten kann. Wegen meiner vielen Videokonferenzen habe ich mir einen ruhigen Arbeitsplatz im ehemaligen Kinderzimmer meiner Tochter eingerichtet und erfreue mich an den Collagen und Fotos aus ihrer Schulzeit.

Eine feste Struktur für meinen Tag habe ich nicht; die vielen neuen Anforderungen und Projekte würden sich eh nicht daran halten! Gerne bin ich in der Mittagspause aber an der frischen Luft zum Spazierengehen oder Radfahren oder ich genieße die Sonne im Garten. Mein Tipp: Weiterhin tapfer sein und zu Hause bleiben, sich mit den Kolleginnen und Kollegen auf unserem Chatsystem mattermost austauschen und nicht den ganzen Tag Corona-Statistiken lesen.