EMMA4Drive – Dynamisches Menschmodell für mehr Sicherheit und Komfort in autonomen Fahrzeugen

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und Fraunhofer fördern trilaterales Projekt zum autonomen Fahren

Für viele Arbeitnehmende ist es eine einladende Zukunftsvision: Mit dem eigenen Auto zur Arbeit fahren und die Fahrtzeit trotzdem sinnvoll nutzen – Nachrichten lesen, E-Mails checken oder entspannen und den ersten Kaffee des Tages genießen.

Um die Erwartungen von Kund:innen autonomer Fahrzeuge zu verstehen, ihr Vertrauen zu stärken und die Sicherheit nachzuweisen, werden neue digitale Werkzeuge für Forschung, Entwicklung und Validierung der Technologie gebraucht. Mit dem Projekt EMMA4Drive entwickeln unsere Forschenden das dynamische Menschmodell EMMA weiter und passen es für den Einsatz in voll- oder teilautonomen Fahrzeugen an.

Bewegungsabläufe anstelle quasistatischer Tests

Bisher werden Menschmodelle entweder in Crash-Simulationen zum Abschätzen des Verletzungsrisikos oder in Ergonomie-Analysen verwendet. Bei Crash-Analysen sind dabei meist detaillierte, rechenzeitintensive Modelle für Berechnungen im Millisekunden-Bereich im Einsatz, die für die Simulation dynamischer Fahrmanöver nicht geeignet sind, da hier längere Vorgänge simuliert werden müssen. Konträr dazu basieren Menschmodelle zur Ergonomie-Analyse auf der vereinfachten Kinematik eines Mehrkörpermodells und ermöglichen bisher ausschließlich quasistatische Untersuchungen. Realistische Haltungen und Bewegungen bei neuen Tätigkeiten lassen sich mit diesen Modellen nur mit viel Aufwand modellieren.

digitales Menschmodell IPS IMMA in einer entspannten Position
© Fraunhofer ITWM
Das digitale Menschmodell IPS IMMA nimmt sich im Fahrzeug eine kurze Auszeit. Bei der Frage, wie auch in solchen entspannten Haltungen der Komfort unter dynamischen Fahrmanövern zu bewerten ist, hilft EMMA.

Besser sitzen, bequemer bedienen

»Unser Menschmodell berechnet mit einem Optimierungsalgorithmus automatisch neue Körperhaltungen und ganze Bewegungsabläufe über ein längeres Zeitfenster mit den dazugehörigen Muskelaktivitäten«, erklärt Projektleiter Dr. Marius Obentheuer. »Damit können im Simulationsmodell auch die Wirkung dynamischer Fahrmanöver auf den Menschen und dessen (Reaktions-)Verhalten untersucht werden – z. B. bei der Auslegung von Assistenzsystemen oder Steuerungsalgorithmen beim (teil)autonomen Fahren.« EMMA4Drive ermöglicht somit eine vergleichsweise einfache Umsetzung neuer Bewegungsmuster und eine effiziente virtuelle Untersuchung von Sicherheit, Komfort und Ergonomie.

Vorgängerprojekt EMMA-CC

Die Modellierung und effiziente Simulation menschlicher Bewegungen für Anwendungen im Bereich der Ergonomie (Arbeitsplanung, virtuelles Training, etc. in verschiedenen Industriebereichen), der Medizin und der Computergraphik sind große Herausforderungen. Das Projekt EMMA4Drive basiert auf Entwicklungen des Projekts EMMA-CC.

EMMA-CC steht für »Ergo-dynamic Moving Manikin with Cognitve Control« und ist eine alte Bekannte: In dem gleichnamigen MAVO-Projekt hatten sechs Fraunhofer-Institute an der digitalen Menschmodellierung für die simulationsgestützte ergonomische Auslegung von Arbeitsplätzen zusammengearbeitet, um damit in der Produktentwicklung und Produktionsplanung in Zukunft sichere und gesunde Arbeitsplätze einzurichten. 

Die Weiterentwicklung EMMA4Drive nimmt nun quasi im Auto Platz und simuliert dynamisch die Wechselwirkungen von menschlichen Körperteilen und dem Fahrzeugsitz bei Fahrmanövern. Der daraus entstehende Software-Prototyp wird als digitales Abbild der Insassen dabei helfen, neue Sitzkonzepte im Fahrgastraum in Bezug auf Sicherheit und Ergonomie bei Fahrmanövern zu analysieren und zu bewerten.

Knochenmodell EMMA auf einem Autositz
© Uni Stuttgart
Das Knochenmodell von EMMA basiert auf etablierten Modellen der Insassensimulation – so lassen sich gewonnene Bewegungsdaten in anderen Modellen, zum Beispiel in Crash-Simulationen, weiterverarbeiten.
Mit einem digitalen Abbild einer Fahrerin wird das quasi-statische Einsitzen in den Fahrzeugsitz modelliert.
© Fraunhofer ITWM
Mit einem digitalen Abbild einer Fahrerin wird das quasi-statische Einsitzen in den Fahrzeugsitz modelliert.

EMMA auf RODOS

Und bevor EMMA auf die Straße darf, muss sie natürlich ihre Fahrprüfung ablegen – virtuell in unserem interaktiven Fahrsimulator RODOS (RObot based Driving and Operation Simulator). Dort nimmt aber zunächst ein realer Mensch Platz, um physikalische Messdaten zu erheben und die Ergebnisse der Simulationssoftware gegen gemessene Daten zu validieren. Untersucht wird die Wechselwirkung zwischen Fahrendem und Sitz, beispielsweise die Druckverteilung. Diese Daten sollen helfen, grundlegende Fragestellungen des autonomen oder teilautonomen Fahrens besser zu beantworten: Wie schnell soll man die gekippte Rückenlehne eines Sitzes mit der integrierten Elektromotorik wieder hochstellen? Oder den gedrehten Sitz in seine Ausgangsposition zurückbringen? Wie lange dauert es, bis der Mensch wieder das Steuer ergreifen kann, wenn das Fahrzeug im teilautonomen Betrieb signalisiert: »Gefahr von rechts, bitte übernehmen!«?

Der Fahrsimulator ist zentraler Bestandteil des Technikums im Bereich »Mathematik für die Fahrzeugentwicklung« und erlaubt die Verwendung unterschiedlicher Serienkabinen und echter Pkw-Karosserien, die auf einen starken Roboterarm montiert werden. Derzeit arbeiten die Forschenden an einem kombinierten biomechanisch-mechatronischen Modell des gekoppelten Sitz-Systems, mit dem die im Projekt EMMA4Drive entwickelte Simulationssoftware parametriert und kalibriert werden kann.

Damit kann man bestimmte Untersuchungen, die primär auf eine physische Beanspruchung der Insassen abzielen, zukünftig auch rein virtuell durchführen, ergänzend zu einzelnen RODOS-Simulatorstudien in einer realen Fahrkabine. Beim Austesten neuer Konzepte oder vergleichenden Untersuchungen alternativer Varianten erspart dies zeitaufwändige Umbauten der Hardware. Für Studien, bei denen psychologische Aspekte des Fahrverhaltens im Vordergrund stehen, bleibt die Simulation mit RODOS in einer realitätsnahen Kabinenumgebung jedoch unverzichtbar, da nur damit ein perfektes Eintauchen des Menschen in die Fahrsituation erreicht wird.

Projektförderung  

Mit dem Projekt »EMMA4Drive – Dynamisches Menschmodell für das autonome Fahren« fördern die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) und die Fraunhofer-Gesellschaft die Entwicklung eines dynamischen Menschmodells für die Entwicklung (teil)autonom fahrender Fahrzeuge.
Ziel der Förderung von fünf Millionen Euro ist es, Unternehmen frühzeitig an Innovationen aus der Forschung zu beteiligen.
 

Projektpartner

EMMA4Drive / Dynamic Model
© Fraunhofer ITWM
Das dynamische Modell simuliert Muskelregelung bei gezielten Bewegungen. So können Komfort sowie Verletzungsrisiken der Insass:innen untersucht werden.