Forschungszentrum – Reifensimulationen für nachhaltige Mobilität

EFRE-Projekt »Forschungszentrum für die Reifenentwicklung – REmis« unterstützt Entwicklung Digitaler Zwillinge für Reifen

Digitale Zwillinge gelten in vielen industriellen Prozessen als Schlüsseltechnologie, so auch beim virtuellen Entwicklungsprozess von Reifen. Ihr Einsatz ermöglicht es, Reifenabrieb, Verschleiß und Geräuschentwicklung schon bei der Konstruktion des Produkts zu minimieren. Um diese Technologien weiterzuentwickeln, bauen wir am Fraunhofer ITWM ein Labor mit modernsten Versuchseinrichtungen rund um den Reifen in einem eigens dafür gebauten Technikumsgebäude. Unser Institut schafft damit die Grundlage für präzise Simulationen und nachhaltige Innovationen in der Reifenforschung, unterstützt von der EU und dem Land Rheinland-Pfalz im Rahmen eines EFRE-Programms.

Die Automobilbranche ist im Umbruch, Reifen bleiben aber auch in Zukunft ein unverzichtbarer Bestandteil der Mobilität – unabhängig vom Antrieb. Sie stellen die einzige Verbindung zwischen Fahrzeug und Straße her und sind somit unabdingbar für die sichere Fortbewegung des Fahrzeugs, sowohl beim Beschleunigen und Bremsen als auch in Kurvenfahrten.

Der Reifen als unterschätzte Emissionsquelle

Beim Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz konzentrieren sich aktuelle Veränderungen der Branche bisher vor allem auf den Fahrzeugantrieb, um CO₂- und Feinstaubemissionen zu reduzieren. Besonders bei Elektrofahrzeugen, deren Nachfrage wächst, rückt der Reifen verstärkt in den Fokus, denn er ist einer der wenigen verbleibenden Verursacher verschiedener Emissionen.

Rollwiderstand und CO₂-Emissionen im Straßenverkehr reduzieren

Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist der Rollwiderstand zwischen Reifen und Fahrbahn, der für ca. 25 Prozent der weltweit im Straßenverkehr erzeugten CO2-Emissionen verantwortlich ist. Auch im Bezug auf den globalen CO2 Ausstoß ergibt sich hier ein großer Hebel zur Reduktion von klimaschädlichen Emissionen.

Elektrofahrzeuge und die steigende Bedeutung von Reifenabrollgeräuschen

Durch den fortschreitenden Einsatz alternativer Antriebstechnologien – wie beispielsweise Elektroantriebe – reduziert sich das Motorengeräusch drastisch und der Anteil des Reifenabrollgeräusch am Gesamtlärm des Fahrzeugs nimmt deutlich zu. Für die schwereren Elektrofahrzeuge sind zudem auch größere Reifen nötig, deren Abrollgeräusch verglichen mit kleineren Reifen typischerweise höher ist. Infolgedessen wird die Minimierung des Reifenabrollgeräuschs für den Fahrkomfort und die Belastung von Siedlungsgebieten durch Geräuschemissionen immer bedeutender.

Reifenabrieb als Umwelt- und Gesundheitsrisiko: Fakten und Regulierungen

Laut einer Studie der Europäischen Union (EU) fallen pro Jahr 500.000 Tonnen Reifenabrieb im Gebiet der EU an. In Deutschland macht das fast ein Drittel aller Mikroplastik-Emissionen aus. Diese werden laut einer Studie des Fraunhofer Umsicht zu circa sieben Prozent über die Luft größere Strecken transportiert und können so in unsere Lungen gelangen. Ein weitaus größerer Teil lagert sich im Umfeld der Straße ab und gelangt zum Teil in unsere Gewässer. Nur ein geringer Anteil davon wird in Kläranlagen entfernt. Somit stellt Reifenabrieb einen Belastungsfaktor für unsere Umwelt und potenziell auch unsere Gesundheit dar. Im Rahmen von Regulierungsmaßnahmen, wie der EURO-7-Abgasnorm, werden daher voraussichtlich strenge Grenzwerte auch für Reifenabrieb gefordert.

Reifenemissionen im Fokus – Forschung für saubere Mobilität

Unser neues Forschungszentrum befasst sich intensiv mit den von Reifen verursachten Emissionen. Ziel ist es, die physikalischen Entstehungsmechanismen umfassend zu verstehen und damit die wissenschaftliche Basis für Lösungen zu schaffen. Gleichzeitig unterstützen wir die Industrie dabei, Reifen und Fahrzeuge weiterzuentwickeln und praxistaugliche Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen zu entwickeln – ganz im Sinne des Auftrags der Fraunhofer-Gesellschaft, Forschung in die Anwendung zu bringen.

Das Forschungszentrum für Reifenemissionen statten wir mit der modernsten Prüfstandinfrastruktur aus.

Dazu gehören unter anderen

  • ein Rollenprüfstand (ZF HSU 6.1) zur Untersuchung von Komfort und Geräuschemissionen 
  • ein Flachbandprüfstand (ZF RB5) zur Untersuchung von Rollwiderstand, Fahrdynamik, Temperaturen und dem Einfluss realistischer Fahrmanöver auf die Abriebsentstehung. 

Die Verfügbarkeit dieser modernen, leistungsfähigen Prüfstände jenseits von Reifenherstellern ist einzigartig in Europa.
 

Für unsere eigene Forschung und zur Unterstützung der Reifenindustrie bei der Entwicklung umweltfreundlicherer Reifen nutzen wir diese Ausstattung für die folgenden Zwecke:

  • das Charakterisieren und Prüfen von Materialien als Grundlage für Digitale Zwillinge
  • das Entwickeln leistungsfähiger Simulationssoftware für Reifen
  • das Erforschen der Geräuschemission des Reifens
  • das Erforschen des Rollwiderstands von Reifen
  • das Erforschen der Abriebsmechanismen im Reifen-Fahrbahn Kontakt
  • das Entwickeln von innovativen Prüfverfahren für die Emissionsaspekte von Reifen

Forschungsschwerpunkte des Bereichs »Mathematik für die Fahrzeugentwicklung«

Im Forschungsbereich »Mathematik für die Fahrzeugentwicklung« beschäftigen wir uns seit vielen Jahren mit Fragestellungen rund um Mobilität und Energieeffizienz. Ein Schwerpunkt liegt auf dem Entwickeln von Simulationsmethoden und dem Einsatz Künstlicher Intelligenz – etwa bei der Validierung von Sensoren für das autonome Fahren.

Im Schwerpunkt »Reifensimulation« haben wir mit dem Softwaretool »CDTire« bereits eine Lösung geschaffen, die heute in der Reifen- und Fahrzeugindustrie breit eingesetzt wird. Das Forschungszentrum trägt zukünftig dazu bei, die Mobilität effizienter und umweltfreundlicher zu gestalten.

Stärkung des Forschungsstandorts Rheinland-Pfalz: Förderung und Laufzeit

Das Institut wird im Rahmen des EFRE-Programms für den Auf- und Ausbau anwendungsorientierter Forschungs- und Entwicklungsinfrastrukturen durch das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau des Landes Rheinland-Pfalz gefördert.

3D-Visualisierung des neuen Technikum-Gebäudes
© asplan architekten
3D-Visualisierung des neuen Technikum-Gebäudes

Neben der Konstruktion von Reifen wird das Technikum künftig auch für die Charakterisierung verschiedener Materialien genutzt und bietet Raum für weitere abteilungsübergreifende Forschungsprojekte, die bereits in Planung sind.

Das Technikumsgebäude selbst wird vom Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz finanziert, während die beschriebene Ausstattung mit Versuchseinrichtungen durch das Wirtschaftsministerium des Landes Rheinland-Pfalz unterstützt wird. Letzteres Vorhaben ist auf zwei Jahre angelegt – vom 1. April 2025 bis zum 31. März 2027.