Statistiken und Zahlen zur Corona-Pandemie besser verstehen

Wie kann der Inzidenzwert sinken, während die mittleren Fallzahlen steigen?

Streuspanne – Statistik und ihre Kuriositäten / 10. Mai 2021

Während der Corona-Pandemie tauchen allerlei statistische Maße auf, mit denen die aktuelle Entwicklung abgebildet werden soll. Mal ist der R-Wert das Maß aller Dinge, dann die 7-Tage-Inzidenz. Dabei kann es nun passieren, dass Maße, die eigentlich das Gleiche bedeuten sollten, unterschiedliche Trends anzeigen. Wie kann das sein? Wir gehen dem im neuen Blogpost auf den Grund.

Ein Beitrag von Jochen Fiedler und Sascha Feth.

Aktuell (Anfang Mai) beobachten wir bei den Corona-Zahlen einen hoffnungsvollen Trend nach unten. Zuvor gab es einige Wochen Stagnation. In Mitten dieser neuen Hoffnung wurde ein Kollege von uns auf diese verwirrende Anzeige in der Corona-Warn-App aufmerksam:

7-Tage-Inzidenz CORONA-WARN-APP — © Fraunhofer ITWM / Corona-Warn-App
7-Tage-Inzidenz (Screenshot Corona-Warn-App).

Bestätigte Neuinfektionen CORONA-WARN-APP — © Fraunhofer ITWM / Corona-Warn-App
Bestätigte Neuinfektionen (Screenshot Corona-Warn-App).

Diese Beobachtung stammt von ein und demselben Tag: Der Trend bei den Inzidenzen zeigt nach unten (grüner Pfeil), der bei dem 7-Tages-Mittel nach oben (roter Pfeil). Aber Moment… ist die 7-Inzidenz nicht einfach nur eine Umrechnung der Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner:innen? Wie kann es dann dieses gegenläufige Verhalten geben?

Liegt dies an Mittelungseffekten, Sonderereignissen oder anderen realen oder statistischen Effekten? Hat sich vielleicht die Bevölkerungszahl im Nenner schlagartig verändert?

Dies ist ein konstanter Wert, der völlig unabhängig von den tatsächlichen Fallzahlen ist – beide Werte sind proportional zueinander und lassen sich leicht ineinander umrechnen. Zeigt einer der beiden Werte nun einen steigenden Trend, müsste der andere Wert dies ebenso tun – fallende Trends analog.

Wie kam es dann zu den Screenshots in der Corona-Warn-App? Um die Ursache zu erkennen, müssen wir die Datengrundlage beider Werte genauer betrachten.

Inzidenzen und Mittelwerte nutzen Daten mit unterschiedlichen Zeitpunkten

Wie erhält das RKI Informationen über die Infektionszahlen? Den Meldeweg schlüsselt das RKI auf seiner Webseite hier wie folgt auf:

Innerhalb von 24 Stunden müssen offizielle Stellen wie Ärztinnen und Ärzte sowie Labore dem zuständigen Gesundheitsamt ihre Kenntnisse über Fälle melden. Das Gesundheitsamt soll dann spätestens am nächsten Arbeitstag die Fallzahlen an das RKI übermitteln. Dabei handeln unterschiedliche Gesundheitsämter auch etwas unterschiedlich: Einige sind schneller als andere und einige melden auch am Wochenende Zahlen, andere wiederum nicht. Dabei wird jeder Fall, der an das RKI übermittelt wird, mit einem Meldedatum versehen, was dem Zeitpunkt entspricht, an dem das zuständige Gesundheitsamt von dem Fall erfahren hat.

Zur besseren Abgrenzung nennen wir nun den Zeitpunkt, an dem das RKI von einem Fall erfährt, das RKI-Meldedatum und das »offizielle« Meldedatum, also dann, wenn das zuständige Gesundheitsamt von einem Fall erfahren hat, das GA-Meldedatum.

Die von uns genutzten Zahlenquellen sind hier in dieser Tabelle zu finden. Schauen wir zuerst, wie das 7-Tages-Mittel zustande kommt. In dem Datenblatt »Fälle-Todesfälle-gesamt« finden sich die insgesamt für einen Tag an das RKI gemeldeten Fälle (dieser Tag entspricht dem RKI-Meldedatum) und die dort gemeldeten Zahlen sind die Datengrundlage für das 7-Tages-Mittel. So finden wir z.B. für den 06.05.2021 folgende Zahlen:

RKI-Meldedatum	30.04.	01.05.	02.05.	03.05.	04.05.	05.05.	06.05.
Fallzahl	24.329	18.935	16.290	9.160	7.534	18.034	21.953

Das ergibt ein 7-Tages-Mittel von 16.605, welches exakt der Wert ist, welchen die Corona-Warn-App nutzt. Würden wir diesen Wert nutzen, um die Inzidenz zu berechnen, so müssten wir diesen Wert wie oben beschrieben durch teilen und erhielten 139,8, was deutlich höher ist, als die offiziell genannte Inzidenz von 129,1. Das kann also nicht die Berechnungsgrundlage der App sein.

Der Unterschied ergibt sich nun daraus, dass die Inzidenzen die GA-Meldedaten als Grundlage nehmen. Das sieht in unserem Falle wie folgt aus:


GA-Meldedatum	29.04.	30.04.	01.05.	02.05.	03.05.	04.05.	05.05.
Fallzahl	21.453	19.150	15.056	6.593	8.888	20.391	15.860

Für den Inzidenzwert am 06.05.2021 werden diese Werte aufsummiert, was 107.400 Fälle ergibt, welche umgerechnet genau zur Inzidenz von 129,1 führt.

Daten zu einem RKI-Meldedatum verteilen sich auf mehrere GA-Meldedaten

Für ein tieferes Verständnis, wie die Zahlen voneinander abhängen, schauen wir uns im Detail an, wie sich die Daten, die zu einem bestimmten RKI-Meldedatum gehören, auf verschiedene GA-Meldedaten aufteilen. Wenn das RKI heute von Fällen erfährt, dann setzen die sich aufgrund des Meldeverzugs aus Fällen zusammen, die verschiedene GA-Meldedaten haben. Betrachten wir dazu folgende Tabelle, welche sich aus den RKI-Tabellen (Quelle wieder Daten von hier) vom 05.05.2021 und 06.05.2021 ergibt:

GA-Meldedatum	29.04.	30.04.	01.05.	02.05.	03.05.	04.05.	05.05.
Fallzahl (Stand 05.05.)	21.424	19.088	15.017	6.505	8.286	15.088	-
Fallzahl (Stand 06.05.)	21.453	19.150	15.056	6.593	8.888	20.391	15.860
Differenz	29	62	39	88	602	5.203	15.860

Die RKI-Tabelle enthält mit neuerem Datenstand höhere Fallzahlen für die hier aufgeführten GA-Meldedaten! Dies liegt genau daran, dass die Fallzahl, welche dem RKI am 06.05.2021 bekannt wurde, auch Nachmeldungen für frühere Tage enthält: 29 Nachmeldungen für den 29.04.2021, 62 Nachmeldungen für den 30.04.2021, usw. Die Gesamtsumme der am 06.05.2021 dem RKI gemeldeten Fälle von 21.953 ergibt sich nun genau aus der Summe der Fallzahlen zum GA-Meldedatum vom 05.05. und den Nachmeldungen (und Korrekturen) für die früheren GA-Meldedaten. Summieren wir die obigen Differenzen (also Meldungen und Nachmeldungen) auf, so erhalten wir 21.883. Dies sind noch nicht ganz die 21.953 gemeldeten Fälle, was daran liegt, dass auch für noch weiter zurückliegende GA-Meldedaten Korrekturen durchgeführt wurden. Berücksichtigt man all diese, so landet man aber genau auf den 21.953 Fällen.

Fazit

Damit sind die unterschiedlichen Trends dadurch zu erklären, dass die Referenzzeitpunkte, die für das 7-Tages-Mittel und die 7-Tage-Inzidenz berechnet werden, unterschiedlich sind. Das mag auf den ersten Blick verwirren, hat für die Trends aber nur dann Auswirkungen, wenn die Fallzahlen stagnieren, stark schwanken oder wenn es stärkere Meldeeffekte gibt, wie es beispielsweise zu Ostern oder Weihnachten der Fall war.

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